Rollstuhlfahrer 4

Im Rollstuhl unterwegs

Die Entwicklung geeigneter elektrisch unterstützter Rollstühle steht noch ganz am Anfang. Das Wissen um die Anforderungen an ein Gefährt, welches sich auch für grosse Steigungen und Neigungen, sowie lange Abfahrten eignet und zudem noch Befestigungspunkte für handelsübliche wasserdichte Taschen aufweist, ist noch kaum vorhanden. Was für die Erbauer von elektrisch unterstützten Mountainbikes heutzutage Routine ist, hat man für den Bau von Reiserollstühlen bisher nicht angewandt. Erst wenn der Markt, also die Leute, welche im Rollstuhl selbständig über weite Strecken reisen wollen, dies verlangt, werden die passenden Produkte ganz zaghaft entstehen. Ohne aktive Mitwirkung der Leute im Rollstuhl, einfach mit abwarten, wird es aber noch sehr lange dauern, bis gute, bezahlbare Reiserollstühle angeboten werden.

Camino Europe sieht sich momentan nicht in der Lage, Empfehlungen auszusprechen. Erfahrungswerte aus abgeschlossenen Pilgerreisen mit Serienprodukten fehlen noch.

Unterstützung von Reisenden im Rollstuhl

Es ist sicher kein schlechtes Gefühl, wenn man, im Rollstuhl reisend, von einer Person, die mit keiner Behinderung belastet ist, sich unterstützen lassen kann. Unterstützen bedeutet aber nicht, dass jemand dauernd den Rollstuhl schiebt. Das wäre gar nicht im Sinn der Inklusion.
Zu Fuss ist aber eine Unterstützung definitiv zu langsam. Der Rollstuhl rollt schneller, als der Fussgänger läuft. Zudem trägt der Fussgänger noch seinen Rucksack mit etwa 10 kg Gewicht. Als Fussgänger wäre man somit immer "im leichten Trab"  unterwegs, hinter dem Rollstuhl. Und wenn Hilfe benötigt wird, erreicht die Unterstützung zu Fuss den Rollstuhl relativ erschöpft. Keine guten Voraussetzungen, um wirksam zu helfen. Sich im Rollstuhl fahrend von Leuten zu Fuss unterstützen zu lassen, ist also keine besonders gute Idee.

Aus diesen Gründen empfiehlt Camino Europe, dass Leute im Rollstuhl sich eine Person suchen, die mit dem Velo auf derselben Strecke unterwegs ist. In einer akzeptablen Distanz, vor oder hinter dem Rollstuhl, kann diese Hilfe rasch mit dem Smartphone benachrichtigt werden. Solange keine Hilfe benötigt wird, reist jeder für sich selbst und kann auch seinen eigenen Empfindungen nachleben. Damit die Hilfe aber schnell verfügbar ist, also innerhalb etwa 30 Minuten, müssen beide Pilger mithilfe der GPS-Navigation und dem identischen Weg (GPS-Track) unterwegs sein. Für Individualismus bleibt bei dieser Reise-Methode natürlich kaum Spielraum. Die Person auf dem Velo verzichtet also auch, ohne dass sie zu Hilfe gerufen wird, auf wertvolle persönliche Freiheit auf ihrem Pilgerweg.
Man darf sich als Person im Rollstuhl ruhig auch Gedanken machen, wie man sich dafür bedanken will.

 

Die Ausrüstung ist hier aufgeteilt in

Bekleidung: alles, was man anzieht, um zu reisen.

Transport: alles, was man für unterwegs einpackt, wo man es einpackt und wie man es einpackt, sowie der Rollstuhl, mit dem man das alles transportiert.

Für die meisten Elemente der Bekleidung gilt das, was im Teil Fussgänger schon beschrieben ist. Hier werden also nur jenen Elemente behandelt, die von der typischen Ausrüstung der Fussgänger abweichen.

 

Das Dekubitus Kissen

Für alle, die nicht wissen, was das ist:

Dekubitus ist der Fachbegriff für ein Druckgeschwür der Haut und entsteht durch Druck oder eine Kombination aus Druck und Scherkräften. Die lokale Schädigung der Haut und des darunterliegenden Gewebes ist die Folge einer anhaltenden unveränderten Druckbelastung, meist über einem Knochenvorsprung

Für mehr Sitzkomfort und zur gezielten Dekubitusprophylaxe setzt man ein spezielles Kissen ein, welches die Druckverteilung durch das Körpergewicht im Gesässbereich optimiert und damit hilft, Dekubitus Schäden zu verhindern.

Die Evaluation eines geeigneten Dekubitus Kissens für lange Reisen im Rollstuhl ist um einiges komplizierter, als die Wahl eines Velosattels, der keine Schmerzen verursacht. Aus diesem Grund sollte man mit der Zusammenstellung von Reiserollstuhl und Dekubitus Material sehr früh beginnen und dies auch intensiv austesten.

Schutz für die Beine

Auch wenn die Beine nicht mehr funktionieren, brauchen sie Schutz. Regen und Kälte führt zur Auskühlung, Hitze fördert die Überhitzung des Körpers. Die Beine gehören deshalb bei Extremwetter in einen geeigneten Schutzsack. Im Süden kann man sich notfalls bei Regen auch mit einem grossen Kehrichtsack vor der Nässe schützen.

Schutz des Kopfes

Es mag abwegig klingen, doch auf Reisen im Rollstuhl ist ein Velohelm zum Schutz des Kopfes angebracht. Kippt einmal der Rollstuhl oder rutscht gar einen Abhang hinunter, ist zumindest der Kopf so etwas geschützt. Ohne Helm im Rollstuhl tagelang unterwegs sein, ist einfach nur leichtsinnig. Mit der Zeit ermüdet man und neigt zu verlangsamter Reaktion. Damit steigt die Gefahr eines Unfalls.

Regenschutz

Anders als beim Velofahrer ist für Reisende im Rollstuhl ein Poncho eine gute Lösung. Er ist schnell in die richtige Position gebracht und schützt vor einem schnell einsetzenden Regenschauer. Zusätzlich sollte man die Beine in einen wasserdichten Sack stecken, denn nasse Beine können auch bei noch erträglichen Temperaturen eine Unterkühlung verursachen, wenn die Muskeln nicht durch Bewegungswärme mithelfen können, dies zu verhindern.

Rettungsdecke

Diese extrem dünnen Folien, einseitig silbern und auf der andern Seite golden, haben trotz geringstem Packmass eine beachtliche Isolationsfähigkeit. Die mit Metall bedampften Schichten reflektieren die eigene Körperwärme. Beginnt man zu frieren, ist so eine Rettungsdecke, griffbereit mitgenommen, eine einfache, kostengünstige Möglichkeit, diesen Zustand zu verbessern.

Hygienematerial

Als Person mit einem Handicap ist man meist auf sehr spezifische Hygienematerial angewiesen. Die individuellen Bedürfnisse sind derart unterschiedlich, dass zu diesem Thema nur allgemeine Empfehlungen abgegeben werden können:

Packungsgrössen
Die Packungsgrössen für Verbrauchsmaterial basieren oft auf Ökonomie. Man kauft den Bedarf für einen längeren Zeitraum ein, um damit Geld zu sparen. Für eine längere Reise sollte man aber abwägen, wie viel Verbrauchsmaterial man für welche Zeit benötigt und wo man unterwegs Ersatz nachkaufen kann.

Verpackung
Die Verpackung muss im Verkaufsregal attraktiv wirken, egal, wie viel Luft sie nebst dem Material noch enthält. Auch die Handhabung soll durch die Verpackung optimiert sein. Das führt zu einem Packvolumen, welches oft einfach nur verschwenderisch ist. Da macht es Sinn, das Material anders zu verpacken.

Ersatzbeschaffung
Es macht keinen Sinn, Verbrauchsmaterial für eine längere Reise einzupacken, wenn man Ersatz in jeder beliebigen Apotheke bekommen kann. Es ist daher zu überdenken, ob man den Vorrat an Verbrauchsmaterial besser auf den Bedarf für eine Woche reduziert, um das Packvolumen und Gewicht in Grenzen zu halten.

Insgesamt sollte man das Hygienematerial auf reisetaugliche Verpackung und Grösse umpacken, um nicht unnötig zu viel Platz und Gewicht dafür zu beanspruchen. Mit der Zeit findet man so auch immer mehr Möglichkeiten, zu optimieren, ohne zu verzichten.

 

 

Der Rollstuhl

Das ist ein wirklich schwieriges Thema.

Es gibt nur wenige wirklich geeignete Rollstühle für lange Reisen auf Pilgerwegen.

Pilgerwege bedeutet Naturstrassen, raue Oberflächen, teils ausgeschwemmte Wege, Steigungen, Gefälle und Neigungen bis 30 Grad und diese alles bei starkem Regenwetter. Die Anforderungen an einen Rollstuhl sind daher um einiges höher als an ein Reisevelo.

Inklusion ist der Anspruch an die Freiheit der Personen mit einem Handicap, dass sie ohne fremde Hilfe möglichst mit den Leuten ohne Handicap zusammen unterwegs sein können. Anders als beim gesetzlich verankerten Anspruch für hindernisfreie Wege kann man historische Pilgerwege nicht verlegen, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Teilweise müsste man auch historische Bauwerke verschieben, damit man sie auf hindernisfreien Wegen erreichen kann. Das ist aber völlig unrealistisch, denn schon der Denkmalschutz verbietet solches Tun.

Ein Rollstuhl in der Kombination Inklusion und Pilgerwege eingesetzt, muss also deutlich mehr bewältigen können als nur hindernisfreie Wege. Nur dort, wo das gar nicht möglich ist, sollte man von der Inklusion kurzzeitig abweichen und unüberwindbare Hindernisse umfahren. Zu weiträumig darf aber keine Umfahrung gewählt werden, wenn nicht das gemeinsame Erleben der Pilgerwege mit Leuten ohne Handicap infrage gestellt werden soll. Umgekehrt können auch Fusspilger nicht dazu angehalten werden, neu grössere Umwege zu wählen, nur um die Inklusion wahr werden zu lassen.

Mit einem Handicap unterwegs sein, bei dem man nur noch etwa 20 % der eigenen Kraft für die Fortbewegung zur Verfügung hat, erfordert technische Unterstützung zur Kompensation der fehlenden 80 % Kraft. Das kann man heutzutage mittels jener Technologie schaffen, welche erst seit kurzer Zeit für elektrisch unterstützte Velos eingesetzt wird.

Modernste Antriebe kombinieren den Elektromotor mit einem Schaltgetriebe und sind in dieser Kombination nur noch 4,1 kg schwer. Ergänzt mit einem leistungsfähigen Lithium-Ionen-Akku wird daraus ein leichtgewichtiges Kraftpaket, welches jetzt in einem auf Gewichtsersparnis und Geländegängigkeit optimierten Rollstuhl einzubauen ist. Als Reiserollstuhl sind, vergleichbar einem Reisevelo, die Befestigungspunkte für handelsübliche Taschen und deren Träger bereits vorhanden.

Das wäre eigentlich keine Utopie, denn alle Komponenten sind frei im Handel erhältlich und werden längst auf Reisevelos verbaut. Der Preis mag da etwas hinderlich sein, doch ein Reisevelo mit dieser Technologie ausgerüstet bestellt man heute für einen Preis, der über 10'000 Euro liegt. Dabei ist zu bedenken, dass der Markt für hochwertige Reisevelos inzwischen relativ gross ist. Der Markt für Reiserollstühle dürfte deutlich kleiner sein.

 

Die Evaluation

Bei der Evaluation eines Reiserollstuhls für lange Strecken auf Pilgerwegen sind folgende Punkte zu beachten:

  • Eine elektrische Unterstützung ist unabdingbar. Muskelkraft alleine genügt nicht.
  • Die Wahl zwischen elektrischer Unterstützung oder vollständigem elektrischem Antrieb ist individuell zu treffen.
  • Ein Reiserollstuhl muss Steigungen, Seitenneigung und Gefälle bis 30 % bewältigen können.
  • Die Antriebsleistung und das Bremsvermögen muss 1000 Höhenmeter pro Tagesetappe verkraften.
  • Die Batterieleistung muss 50 km pro Tagesetappe in hügeligem Gelände ermöglichen.
  • Die angetriebenen Räder müssen auch auf Naturstrassen die erforderliche Traktion für 30 % Steigung und Bremsleistung gewährleisten.
  • Die nicht angetriebenen Räder müssen so gross und breit sein, dass sie nicht in Löcher und Schrunden ausgewaschener Wege blockiert werden


Diese Vorgaben ergeben sich aus der Länge der Strecke des Jakobswegs von Konstanz bis Santiago de Compostela von 2340 km und der Topografie unterwegs. Möchte man die Idee der Inklusion tatsächlich umsetzen, also als Pilger aus eigener Kraft und in eigener Verantwortung den Weg erleben, muss man zwangsläufig diese Anforderungen akzeptieren. Das sind die Fakten. Alles andere wäre keine Inklusion.

Das ist wiederum keine Utopie und kann mit der heute verfügbaren Technologie realisiert werden. Pilgern ist eine Willensanstrengung, das Defizit der Pilger mit Handicap ist eine technisch lösbare Herausforderung. Die Bereitstellung dieser Technologie ist Aufgabe der Verbände nach den Vorgaben ihrer Mitglieder.

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.


Die Sichtbarkeit

Mit einem Rollstuhl verbleibt oft keine Möglichkeit, einer sich nähernden Gefahr auszuweichen. Man muss sich selber also für die Umwelt ausgezeichnet sichtbar machen. In den leuchtenden Warnfarben gehaltene Bekleidung, zusätzliche leuchtend farbige Elemente am Rollstuhl und grosszügige Reflektoren, von allen Seiten gut sichtbar sind unabdingbar. Wer in elegantem grau-schwarz unterwegs ist, gefährdet sich selber. Bei Dämmerung und Regen gehört auch eine eingeschaltete, gut sichtbare Beleuchtung dazu.

Der Sicherheitsgurt

Ein 2-Punkt-Sicherheitsgurt gehört zur Minimalausrüstung eines elektrisch unterstützten Rollstuhls. Alles, was dagegen spricht, sind nur dumme Ausreden. Wer Möglichkeiten zur Verbesserung der eigenen Sicherheit weglässt, schadet primär sich selber. Sobald es aber zu einem Unfall kommt, führt jede Vernetzung, die vermeidbar gewesen wäre, dazu, dass sich helfende Personen stärker engagieren müssen. Dies nur, weil nicht alle zumutbaren Möglichkeiten zur Eigensicherung genutzt wurden.

Die Packtaschen

Es empfiehlt sich, als Packtaschen auf die Markenprodukte jener Hersteller zurückzugreifen, welche seit vielen Jahren bewährte Packsysteme für Velofahrer liefern. Dabei wären sicher auch Ortlieb und Vaude. Selbstverständlich gibt es preiswertere Nachahmerprodukte aus Fernost, die mit denselben Funktionen verfügbar sind. Allerdings weiss man nie, ob bei einer Nachahmung nicht nur Form und Farbe, sondern auch die Qualität kopiert wurde. Bei einem Nachahmerprodukt muss man also immer mit einem nicht quantifizierbaren Risiko rechnen. Wer mit einem Handicap unterwegs ist, sollte aber nicht, nur um Geld zu sparen, zusätzliche Risiken eingehen.

Die Packtaschen lassen sich über schnell lösbare Verbindungen am Rollstuhl anbringen. Wo aber die Haltepunkte an einem Leichtbau Rollstuhl hingehören, sollte man beim Hersteller des Rollstuhls erfragen. An einer ungünstigen Stelle befestigt, können schwer beladene Packtaschen die Struktur des Rollstuhls beeinträchtigen.

In jedem Fall sollte man aber darauf achten, dass durch beladene Packtaschen das Auflagegewicht der angetriebenen Räder nicht reduziert, sondern erhöht wird. Andernfalls kann es vorkommen, dass in steilen Passagen auf Naturstrassen die Traktion ungenügend ist und die Antriebsräder durchdrehen. Die Traktion resultiert immer aus Auflagegewicht, Raddurchmesser und Reifenprofil. Diese Faktoren sollte man keinesfalls ignorieren, denn hier wirkt die Physik gnadenlos.

Ein Anhänger?

Für Velos sind sie längst im Alltag angekommen. Mit einem geringen Eigengewicht, aber einer trotzdem stabilen Konstruktion bilden sie eine gute Alternative zu Packtaschen. Man sollte sich aber auch bei der Wahl eines Anhängers auf ein bewährtes Produkt verlassen. Unbedingt zu beachten ist, dass man auch einen Anhänger in die Thematik der Traktion einbeziehen muss. Ein zusätzliches Gewicht bergauf verlangt mehr Kraft, die über die angetriebenen Räder auf den Boden gebracht werden muss. Bergab schiebt ein Anhänger natürlich kräftig. Das muss die Bremse des Rollstuhls ebenfalls verkraften, denn nur wenige Anhänger sind mit einer Auflaufbremse ausgerüstet.
Da Anhänger oftmals luftgefüllte Reifen besitzen, muss man mindestens einen Reserveschlauch dieser Grösse natürlich ebenfalls mitnehmen.

 

Das Ersatzmaterial

Ersatzmaterial Rollstuhl

Reiserollstühle mit elektrischer Unterstützung werden in der Regel nur in Kleinserien hergestellt. Dabei wird oft Material eingesetzt, welches spezial dafür angefertigt wurde. Zudem ist die Fabrikation von solchen Rollstühlen sehr auf eine lokale Kundschaft fixiert. Das führt dazu, dass ein bestimmtes Modell eines an und für sich hervorragenden Rollstuhls schon in einer Distanz von 1000 km ab seinem Herstellungsort völlig unbekannt ist. Ein Jakobsweg kann aber schnell einmal die Länge von mehr als 2000 km überschreiten. Man hat also kaum eine Chance, dass bei einer Panne ein lokal ansässiges Unternehmen mit Ersatzteilen und Erfahrung weiterhelfen kann. Man muss spezifische und wichtigen Teile selber mitnehmen. Niemand unterwegs hat solche Teile an Lager.

  • 1 Pneu der angetriebenen Räder, falls keine Standardgrösse gebräuchlicher Velos
  • Befehlsgeber für Steuerung (Joystick) oder kritische Elemente der Elektronik
  • Reifen-Reparaturspray (Latex-Schaum)
  • Kompakte Velopumpe oder CO₂ Patronen mit Adapter

 

In jedem Fall müssen jene Ersatzteile mitgeführt werden, die zum Verbrauchsmaterial zugerechnet werden:

  • 2 Ersatzschläuche jeder Grösse, die am Rollstuhl verbaut wurde
  • 2 Bremsbeläge

 

Werkzeug

Kompaktwerkzeug

Ein kompaktes Velo-Werkzeug plus Reifenheber gehört zur Standardausrüstung. Zusätzlich all jene Werkzeuge, welche bei einer Panne erforderlich und nicht im Kompaktwerkzeug enthalten sind. Das muss aber vor Reisebeginn abgeklärt und beschafft werden. Dabei sollte ausschliesslich hochwertiges Qualitätswerkzeug eingekauft werden. Billigprodukte sind oft nicht sehr stark belastbar.

Mit einer Behinderung kann man vielleicht eine Panne trotz Ersatzmaterial und Werkzeug nicht selber beheben. Aber ein unterwegs angetroffener Helfer ist ebenfalls völlig machtlos und kann auch nicht helfen, wenn ihm das notwendige Material und Werkzeug nicht zur Verfügung steht. Qualitativ minderwertiges oder unvollständiges Werkzeug verhindert jede noch so gut gemeinte Hilfeleistung.

Wer mit einer Behinderung in einem Rollstuhl reist und, bedingt durch seine Behinderung, nicht in der Lage ist, eine Panne selber zu beheben, sollte trotzdem genau wissen, wie vorzugehen ist. Ein Helfer, der wohl die Fähigkeiten zur Behebung von Pannen hat, aber die spezifische Technologie des Rollstuhls nicht kennt, ist ohne die verbale Unterstützung der behinderten Person oft nicht in der Lage, solche Probleme zu lösen. Es braucht immer die Kombination von Fähigkeiten und Wissen.

Eine kameradschaftliche Zusammenarbeit lohnt sich besonders dann, wenn weitab von einer Siedlung am späteren Nachmittag eine Panne auftritt. Kommt dann nebst der Dämmerung auch noch Wind und Regen dazu, wird es extrem ungemütlich. Oft dauert es dann noch Stunden, bis ein geeignetes Transportfahrzeug eingetroffen ist, um den liegengebliebene Rollstuhl samt Passagier an eine sichern, trockenen Ort zu bringen. Da wäre eine schnelle Behebung einer Panne durch einen freiwilligen Helfer ein richtiges Geschenk.

Sich solche Gedanken zu machen, gehört zur seriösen Vorbereitung von Rollstuhlfahrern auf eine lange Reise, die in Eigenverantwortung erfolgen soll.

 

Pannendienst

Sobald etwas nicht mehr richtig funktioniert, sollte man das Problem, wenn möglich, bald einmal beheben, damit man die Reise ungehindert fortsetzen kann. Man ist somit sein eigener Pannendienst unterwegs. Ist man mit einem Handicap unterwegs, kann man dies aber nicht immer selber machen. Man ist auf Hilfe angewiesen. In dieser Konstellation ist man aber selber dafür zuständig, dass einer helfenden Person die erforderlichen Hilfsmittel zur Verfügung gestellt werden können. Immerhin handelt es sich bei einem Rollstuhl nicht um ein Massenprodukt, für das sich in jeder grösseren Ortschaft passende Ersatzteile beschaffen lassen.

Die Probleme des menschlichen Körpers und deren Lösungen werden im Themenbereich Mensch beschrieben. Auf die spezifische Problematik resultierend aus einem Handicap kann hier allerdings nicht eingegangen werden, denn dafür gibt es keine Standardlösungen.

Die wahrscheinlichste Panne wird weder vom Rollstuhl noch vom damit fahrenden Menschen verursacht, es ist vielfach der Weg, der eine nicht voraussehbare Panne verursacht:

Externe Faktoren sind schuld daran, dass der Weg unterbrochen ist. Die mögliche Umleitung ist aber mit dem Rollstuhl nicht befahrbar. Teils sind es Treppen, manchmal zu schmale Stege oder oft nur zu hohe Stufen, die eine Weiterfahrt verhindern. Man benötigt also Hilfe.

Die sieht oft so aus:

  • Rollstuhl abladen.
  • Person auf die andere Seite des Hindernisses tragen.
  • Gepäck auf die andere Seite des Hindernisses tragen.
  • Rollstuhl auf die andere Seite des Hindernisses tragen.
  • Rollstuhl wieder fahrbereit machen.


Die Problematik liegt im Gewicht, welche auf die andere Seite eines unerwarteten Hindernisses befördert werden muss. Ein vollständig beladener Reiserollstuhl wiegt inklusive Person und Gepäck bis zu 250 kg. Am Stück lässt sich das Gefährt also kaum tragen. Man muss zwangsläufig einzelne Komponenten tragen. Hier ist die Mitwirkung der Person im Rollstuhl unabdingbar, denn nur sie weiss genau, wie man alles in möglichst tragbare Komponenten aufteilen kann.

Genau dieses Szenario sollte man vor Antritt einer Reise genau überlegen und auch Vorkehrungen treffen, dass eine einfache Aufteilung in tragbare Einheiten auch möglich ist.

Die Reifenpanne

Der unplattbare Reifen ist eine moderne Sage. Unplattbar sind nur geschäumte Reifen und Vollgummireifen. Was mit Luft gefüllt ist, kann diese Luft auch verlieren. Die unplattbaren Pneus schützen vor vielen Beschädigungen, doch nicht vor allen. So muss man pro 1000 km mit einer Reifenpanne rechnen. Vielfach ist es ein kleiner Glassplitter, der sich im Profil verklemmt hat und beim Fahren immer weiter in den Reifen hinein gewalkt wurde. Irgendwo steckt dieser kleine Splitter dann im Reifen fest und vermag gerade mal so weit in den Schlauch zu stossen, dass dort ein kleines Loch entsteht.

Damit ist auch klar, dass man den Verursacher einer Reifenpanne suchen und entfernen muss, da er sonst einfach ein weiteres Loch in den nächsten Schlauch stösst. Findet man den Verursacher im ersten Anlauf nicht und er lauert immer noch in seinem Versteck, hat man mit dem zweiten Reserveschlauch noch einmal eine Chance.

Reifen-Reparaturspray

Eine schnelle Lösung des Problems ermöglicht ein Reifen-Reparaturspray. Das ist eine Spraydose, gefüllt mit einem Treibgas und Latex-Schaum. Der Latex-Schaum vermag Löcher abzudichten und das Treibgas pumpt dabei den Reifen wieder auf. Das funktioniert bei Löchern zufriedenstellend. Bei einem Schnitt vermag aber der Latex-Schaum die deutlich grössere Öffnung nicht abzudichten.
Die Reparatur mit Latex-Schaum ist nur eine vorübergehende Lösung. Eventuell steckt der Verursacher der Panne noch im Pneu und kann an derselben Stelle die Latex-Schicht durchstossen. Das wird wohl einige Zeit dauern. Man sollte deshalb so bald wie möglich durch Ersetzen des mit Latex-Schaum reparierten Schlauch die Reparatur nach der klassischen Methode nachholen.

Verlorene Schrauben

Vibrationen über mehr als 1000 km auf Naturstrassen können dazu führen, dass sich Schrauben lockern. Solange nur irgendwo etwas ungewohnte Geräusche verursacht, sollte man nach der Ursache suchen. Ignoriert man die Geräusche, kann es vorkommen, dass eine Schraube oder Mutter verloren geht.

Da man mit einem Handicap nicht sehr beweglich ist, muss man primär diesen Verlust zu vermeiden suchen. Dazu lässt man den Rollstuhl durch eine Fachwerkstatt überprüfen und gibt folgende Anweisung:

  • Alle Muttern sind durch Stoppmutter zu ersetzen
  • Alle Schrauben, die nicht über eine Stoppmutter gesichert sind, müssen mit einer Schraubensicherung (z.B. Loctite Schraubensicherung) gesichert werden.


So reduziert sich das Risiko eines Verlusts von Schrauben oder Muttern erheblich. Zusätzlich lässt man sich allenfalls vom Hersteller für lange Reisen empfohlene Ersatzteile mitgeben. Die Technologie der meisten Rollstühle basiert auf Kleinserien. Daher sind auch Ersatzteile nicht weitherum verfügbar und man muss selber dafür besorgt sein, dass man bei einer Panne nicht tagelang auf die Ersatzteillieferung warten muss.

Handbuch & Reparaturanleitung

Ein moderner, elektrisch unterstützter Rollstuhl ist ein Hightech Produkt. Praktisch immer läuft er perfekt. Aber genau dann, wenn man irgendwo im Ausland damit stehen bleibt, weiss man nicht mehr weiter. Es kommt irgendwann einmal der Moment, da braucht man einen Fachmann. Fachwissen rund um Informatik und Elektronik ist noch relativ weitverbreitet. Allerdings brauch auch ein guter Fachmann ab einem bestimmten Punkt ein technisches Handbuch, wenn es gilt, eine Fehlerursache zu identifizieren. Jetzt braucht also der Fachmann Hilfe, ohne die er nicht weiter kommt:

  • Einfache Anleitung zur Fehlersuche.
  • Technisches Handbuch.
  • USB Anschlusskabel, falls die Elektronik über eine solche Schnittstelle verfügt.
  • App auf dem Smartphone, falls zur vertieften Problemanalyse dies erforderlich ist.


Die App sollte man sich schon mal daheim installieren und prüfen, ob man damit eine Verbindung zur Elektronik herstellen kann. Bei den Anleitungen ist zu beachten, dass auf dem Weg nach beispielsweise Santiago de Compostela die Sprachen Französisch und Spanisch erforderlich sind. Lokale Hilfe zu erhalten wird schwierig, wenn alle Anleitungen in Deutsch sind und die helfende Person kein Deutsch versteht. Meist sind Anleitungen zur schnellen Fehlersuche auf Papier erhältlich. Ganze Handbücher kann man bei Bedarf aus dem Internet herunterladen.

Ideal ist also, wenn man die einfache Anleitung zur Fehlersuche in den unterwegs üblichen Sprachen schon ausgedruckt mitführt und das Handbuch auf einem USB-Stick geladen hat. Verzichtet man darauf, einem Helfer diese Mittel vorab zu beschaffen, muss man damit rechnen, dass man bei einem Defekt über längere Zeit blockiert bleibt. Da die Post in teils entlegene Gebiete, durch die Pilgerwege oft führen, sehr viel Zeit benötigt, muss man in einem solchen Fall länger Geduld haben oder die Reise abbrechen.

Den Hersteller fragen

In jedem Fall sollte man vor der Reise den Hersteller fragen, ob er der Verwendung seines Produkts auf einem längeren Reiseweg mit teils rauen Oberflächen und grösseren Steigungen zustimmen kann. In diesem Fall bitte man ihn um gute Ratschläge und empfohlene Ersatzteil zur Mitnahme. Den Hersteller sollte man dabei informieren, dass die Reise nach Santiago de Compostela über eine Distanz von etwa 2300 km und eine Reisezeit von ungefähr 2 Monate beansprucht.

 

ACHTUNG

Längere Reisen im Rollstuhl sind noch die Ausnahme, besonders wenn man in Eigenverantwortung und ohne permanente Betreuung unterwegs ist. Der Erfahrungsschatz aus solchen Reisen entsteht erst nach und nach. Deshalb wird dieses Kapitel noch einige Zeit im Aufbau sein. Aktive Mitwirkung nach einer abgeschlossenen Reise ist aber sehr willkommen, da so nicht nur Theorie, sondern auch Erfahrungen zu Tragen kommen.

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